Daniel Kissling habe ich kennen gelernt, als ich vor ein paar Wochen meinen älteren Sohn zu einem Probetraining bei den Kleinen des FC Zürich begleitete. «Du hast doch letzten Sommer die Geschichte über die Gelateria in Italien geschrieben», sagte er, als wir am Spielfeldrand froren und unseren Kindern zuschauten, «ich habe dir damals eine Mail geschickt.»
Ich mochte mich halbwegs an die Mail erinnern – geantwortet hatte ich nie. «Ich wollte dir damals sagen, dass es auch in Zürich gutes italienisches Eis gibt», meinte Daniel, er trug eine längliche Wollmütze, seine Art hatte etwas Sanftes, Hippiehaftes, und gleichzeitig schien er fest in der Wirklichkeit zu Hause.
Er betreibe seit 15 Jahren am Hafen Riesbach einen italienischen Glacestand, sagte er, «alles natürlich und selbst gemacht».Gestern habe ich Daniel besucht, und ich fragte mich danach, wie ich den eleganten kleinen Wagen mit der Aufschrift «Gelati am See» all die Jahre lang übersehen konnte. Ich versuchte eine Waffel mit Nuss und Erdbeer, es war hervorragendes italienisches Rahmeis. Hergestellt von Amore Mio aus Höri, sie beliefern auch die Badi Bülach, ein paar italienische Restaurants im Kanton und den Glacewagen beim Pistenende in Oberglatt, wo man die Flieger landen sieht.
Dann schaute ich den Leuten zu. Ein unaufhörlicher Strom blieb vor Daniels Stand stehen, Kinder, Grossmütter, zwei Jungs mit Sonnenbrillen und einem Kampfhund, eine Familie aus Südamerika, Rentner aus Bern, Szene-Mamis, Galeriebesitzer, und alle hatten sie den seligen Ausdruck, als sie mit ihrem Eis weitergingen, eine kindliche Vorfreude, das Geheimnis des Gelato.Während der Kunstgewerbeschule habe er bei Subway gearbeitet, erzählte Daniel, dort habe er Paolo Palumbo kennen gelernt, der den Traum hatte, in der Schweiz jenes fruchtige, rahmige Eis herzustellen, wie er es aus seiner Heimat kannte.
Und weil Daniel diese Sehnsucht teilte, habe er sich einen Glacewagen gezimmert und 1998 begonnen, Paolos Eis zu verkaufen. Über das Geschäftliche habe er sich keine grossen Gedanken gemacht, zum Glück, sagte Daniel, sonst wäre er daran verzweifelt, dass die Leute am See lieber Glace aus der Fabrik konsumiert hätten, Lusso und Mövenpick. Im Winter habe er den Stand zugemacht und sei gereist, nach Brasilien und Jamaika, wo er seine Frau kennen gelernt habe, dann seien die drei Kinder gekommen, und der Glacestand sei zum Broterwerb geworden.
«Ich wollte Künstler werden», sagte Daniel. «Vielleicht bin ich auch einer geworden. Ich verkaufe Glace. Ich machs wahnsinnig gern.» Ein sonniger Nachmittag am See, Zürich hat sein bestes Lächeln aufgesetzt. Daniel füllt Waffeln und Becher, die Leute sind entspannt, er hat für alle ein Wort, hier riecht es nicht nach Business. Wie er das macht, dieser sanfte Charme, eines Tages werde ich sein Geheimnis herausfinden. Ich fuhr mit dem Rad zurück ans Bellevue, an drei Glaceständen kam ich vorbei, Lusso und Mövenpick, kein Mensch ist angestanden.
Miklós Gimes ist Reporter beim «Magazin», Kolumnist beim «Tages-Anzeiger» und Filmemacher («Bad Boy Kummer»). Jeden Donnerstag lesen Sie seine Stadtgeschichten hier bei uns im Stadtblog und auf der Bellevueseite in der Printausgabe.
Der Beitrag Die Kunst des Daniel Kissling erschien zuerst auf Stadtblog.