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Das richtig falsche Kindergeschenk

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Verlieren in Kürze Beine, Kopf und Arme. Machen aber kurzfristig glücklich.

Verlieren in Kürze Beine, Kopf und Arme. Machen aber kurzfristig glücklich.

Es war eine Big-Jim-Actionfigur, nach dem Vorbild von Old Shatterhand – 100 Gramm Plastikmuskeln, markantes Kinn und die fehlenden Geschlechtsteile durch mehrere in die steifen Hände gesteckten  Schusswaffen ausgeglichen. Das war das Weihnachtsgeschenk, das mich als Kind glücklicher machte als jedes andere.

Meine feministische, pazifistische, grüne Mutter war empört. Der Götti, der mir dieses Unding schenkte, musste sich eine Standpauke anhören und war bis Mai aus dem engeren Familienclan ausgestossen.

Natürlich bekam ich wie jedes andere Kind mit linksalternativen Eltern normalerweise pädagogisch wertvolles, nachhaltiges Spielzeug. Häufig lackiertes Holz oder Dinge, die mit denen ich etwas SINNVOLLES mit meiner Zeit anstellen konnte. Büärk. Und natürlich verklärt man als Erwachsener seine alten Holzspielsachen.

Die Hälfte meiner gleichaltrigen Freunde hat Tränen in den Augen, wenn ihnen ihre Brio-Holzeisenbahn beim Umräumen wieder mal in die Hände fällt. Natürlich ist die emotionale Bindung daran reine Nostalgie. Effektiv hatten sie nur gerade im Kleinkindalter Freude daran. Bis zum 3. Lebensjahr kann man einem Buben aber auch ein Stück Karton-WC-Rolle in die Hand drücken und er spielt glücklich damit. Man könnte Räder an eine Banane basteln und der Knirps würde sie mit überzeugtem *Brumm*Brumm* in den neuen Teppich fräsen.

Zwischen dem 4. und dem 12. Lebensjahr wirds schwieriger. Während ich damals mein biologisch abbaubares Holzspielzeug (Lebensbauer 100 Jahre plus) auspackte, bekam der Nachbarsbub ferngesteuerte Plastikrennautos mit Sirenen und Blaulicht (Lebensdauer 64 Stunden, Zerfall ab den ersten Minuten). Ich bekam ein handgeschreinertes Holzschwert, der andere Nachbarsjunge einen goldenen Plastikkrummsäbel mit Plastikedelsteinen. Und aus der Sicht eines Sechs- oder Sieben-Jährigen war es keine Frage, was cooler war. Und auch für die anderen Kids, mit denen ich dann im Januar im Kindergarten die Geschenke verglich, war offensichtlich, wer die Niete gezogen hatte.

Selbstverständlich war ich neidisch und litt unter der vernünftigen Geschenkwahl meiner Familie. Dieses Manko an buntem Billigspielzeug hat bei mir ein Trauma hinterlassen, unter dem ich heute noch leide. Ich bin einer der Typen, die sich online kleine, ferngesteuerte Helikopter bestellen, um damit im Büro rumzukaspern. Ich habe mit 47 eine Lichtschwertsammlung (12 Stück!) und wenn man mich zu Weihnachten glücklich machen will, schenkt man mir etwas aus Plastik, das Geräusche macht und blinkt. Oder eine Star Wars-Actionfigur.

Bei Mädchen ist es dasselbe. Bis zum 4. Lebensjahr reicht eine Wollsocke mit Augen als schönste Puppe der Welt. Später werden aber Barbies und ihre Plastikschwestern wichtig. Wer schon einmal einer Gruppe von Mädchen zugeschaut hat, in der vier Girls mit Barbies spielen und die Fünfte eine fussgenähte Hanfpuppe aus dem Reformhaus (Farbe Beigebraun) an den Bauch drückt, kann mit Weinen nicht mehr aufhören. Das Trauma entsteht auch da. Oder wie sonst erklären Sie sich  35-jährige Frauen, die noch immer «Hello Kitty»-Handtaschen am Arm tragen und ihre Gschpusis in «Minnie Mouse»-Unterwäsche oder -Socken verführen?

Nun mögen einige Eltern anführen, dass sie ihren Kindern keinen billigen Plastikscheiss kaufen wollen. Das sei nicht nachhaltig, eine Verschwendung von Ressourcen und von China über den halben Planeten geflogen. Das sei ökologisch Pfui Bäh und pädagogisch sowieso unter alles Sau. Nur stimmt das nicht. Wenn ich den Plastikschrott rechne, den ich mir seit meiner Kindheit kaufen musste, um dieses Loch in der Seele zu stopfen, könnte man mit dem verbrauchten Erdöl wahrscheinlich einen japanischen Walfänger ein Jahr lang übers Meer tuckern lassen.

Hätte ich mehr von diesem Plastikschrott bekommen, wär ich mit 14 darüber hinweg gewesen und mein Leben hätte eine andere Wendung genommen, ich schwör!

Natürlich muss es nicht NUR billiger Ramsch sein, die Kids wollen ja auch im Juni, wenn das ganze Glitzer-Tatütata-Zeugs längst kaputt ist, mit etwas spielen. Aber wenn Sie ihre Kinder an Weihnachten für ein paar Minuten wirklich glücklich machen wollen, schenken sie ihnen billigen Müll.

Der Beitrag Das richtig falsche Kindergeschenk erschien zuerst auf Stadtblog.


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