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Die unerwünschten Kinder

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Kinder müssen draussen bleiben: Manche Hotels vermieten ihre Zimmer nicht an Familien. (Foto: Getty Images)

Diesen Sommer planten wir mit Gästen aus Frankreich einen Ausflug ins Berner Oberland. Wir hatten uns im Heimatschutz-Reiseführer ein prächtiges altes Hotel in einem Bergtal ausgesucht, doch die Direktion teilte mit, dass sie lieber keine Familien mit Kindern beherbergen möchten, «unsere Angebote richten sich in erster Linie an Erwachsene – viele Paare und Eltern, die Zeit ohne ihre Kinder verbringen wollen».

Das kam mir in den Sinn, als jemand von einer Fünfzimmerwohnung im Seefeld erzählte, die sie nicht erhalten hätten, wegen der Kinder. «Seit wir in Zürich suchen, ist das schon der vierte Hausbesitzer, der keine Mieter mit Kindern will», sagte er.

«Frauen und Kinder zuerst», heisst es. Aber wer den Anspruch hat, dass Familien mit Kindern von der Gesellschaft zuvorkommend behandelt werden müssen, der ist naiv. Es soll sich auch niemand moralisch überlegen fühlen, der Kinder hat; es gibt 200 durchaus valable Gründe, keine zu haben. Es gibt auch kein gottgeschriebenes Recht darauf, Kinder überallhin mitnehmen zu dürfen. Die Erwachsenen sollen mal unter sich sein können, trinken, rauchen, kiffen, tanzen, diskutieren, wieder mal jung sein.

Als die Berner Oberländer uns ausluden, schrieb ich an ein Hotel im Waadtland. Wieder kam die Absage, Monsieur, es tut uns leid, bitte suchen Sie anderswo, wir nehmen keine Familien mit Kindern. Klar war die Häufung Zufall, doch ich begann zu begreifen: Kinder haben offenbar einen schlechten Ruf. Gelten als laut und unzähmbar, lieben Plastikspielzeuge und Rutschbahnen, spielen den ganzen Tag Computergames, sind frech und reden nicht mit Erwachsenen. Kinder gehören in Ghettos, wo es laut zu- und hergeht, nach Bratwurst und Zuckerwatte stinkt, nach dem Chlor des Alpamare.

So findet eine Art Segregation statt in der Gesellschaft, begünstigt durch den Wohnungsmarkt, wo Fünfzimmerwohnungen an ruhige Pärchen gehen, wo man mit hässlichen Familien und unzivilisierten Kindern nichts zu tun haben will. Man soll jetzt aber nicht ins Jammern verfallen, denn die Schweiz ist ein Land, das sich gegen Segregation immer gewehrt hat. Es gibt bei uns keine Ghettos, nicht in Schlieren, nicht in Opfikon, trotz Wohnangeboten für Familien mit Kindern: Stadtwohnungen, Genossenschaften, Siedlungen für kinderreiche Familien.

Interessant ist bloss, dass gleichzeitig mit der kinderunfreundlichen Segregation eine neue, seltsame Art von Kinderfreundlichkeit zelebriert wird. Nehmen wir den Zukunftstag letzte Woche, an dem Kinder ihre Väter und Mütter zur Arbeit begleiten, um zu sehen, was die Alten den ganzen Tag machen. Vor ein paar Jahren noch war der Zukunftstag eine familiäre Sache, ein Alltagsabenteuer von Kindern und Erwachsenen. Meine älteste Tochter hat mich bei einer Reportage begleitet, und mein ältester Sohn half in einer Beizenküche mit. Heute wird in den Betrieben ein richtiges Kinderprogramm organisiert, und die Bilder des Tages werden wenn möglich ins Netz gestellt, Kinder machen sich immer gut.

«Ist dir nicht aufgefallen», sagte meine Frau nach dem letzten Schulanlass, an dem sich die neuen Eltern vorstellten, «die meisten haben jetzt drei Kinder. Drei ist die neue zwei.»

Der Beitrag Die unerwünschten Kinder erschien zuerst auf Stadtblog.


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